Dass eine Toilettenvermietung einen Ethikpreis erhält, klingt im ersten Moment eher absurd – auf den zweiten Blick geht hinter dem Schüsselrand ein weites Feld auf, das an viele große Fragen unserer Zeit rührt. Wie also kann ein stilles Örtchen zu einer besseren Erde beitragen?
Schnellübersicht
Die Idee hinter Kompotoi
In der festlichen Kulisse des Château d’Yverdon-les-Bains wurde Ende Mai zum 19. Mal der Schweizer Ethikpreis vergeben. Die HEIG-VD zeichnet damit Projekte aus, die soziales sowie nachhaltiges Wirtschaften in der Praxis umsetzen. Eine der vier Preisträger:innen ist Kompotoi!
Schauen wir kurz zurück auf die Initialzündung. Gestartet ist die Unternehmung „Kompotoi“ 2012 aus viel Idealismus und einer Erfahrung von Mitgründer Jonas Casanova in einer Permakulturfarm in Indien: Die beste Erde auf der Farm kam aus den kompostierten Hinterlassenschaften einer Komposttoilette. Zurück in der Schweiz fragt Casanova sich, warum wir hier auf Events und Baustellen Plastik-Chemie-Toiletten nutzen, die weder bei der Nachhaltigkeit noch bei der Gemütlichkeit an eine Holz-Komposttoilette heranreichen. Zusammen mit weiteren Mitstreitenden beginnt er, Prototypen zu bauen, sie immer wieder auf Veranstaltungen zu testen und schließlich gründet die Gruppe einen Verein.
Der große Unterschied: Streuen statt spülen
Das besondere an Komposttoiletten ist zum einen, dass sie sogenannte Trockentoiletten sind. Das bedeutet, es wird nicht mit Wasser gespült oder mit einer Chemielösung gearbeitet. Das Geheimnis wird nach dem Geschäft über den “Human Output” gerieselt: Die Einstreu deckt die Hinterlassenschaften ab und trocknet die Oberfläche aus. Das verhindert, dass unangenehme Gerüche entstehen. Gleichzeitig wird kein wertvolles Trinkwasser zum Spülen benötigt und keine bioziden Chemietabletten eingesetzt.
Was so gesammelt wird, ist eine rein organische Ressource und kann – das ist die andere Besonderheit – recycelt werden. Aus Abfall wird also Rohstoff. Mit dem Urin scheiden wir einen Großteil der Pflanzennährstoffe, die wir über die Nahrung zu uns nehmen, wieder aus. Er ist reich an Stickstoff, Phosphor und Kalium und eignet sich damit perfekt als natürlicher Dünger. Mit technischen Verfahren kann der enthaltene Stickstoff stabilisiert und von eventuellen Spurenstoffen befreit werden. Das macht Kompotoi bislang nicht selbst, sondern liefert im Raum Zürich an Vuna, deren Flüssigdünger Aurin für die Landwirtschaft zugelassen ist.
Für die Feststoffe gibt es verschiedene Verwertungsmöglichkeiten, der Königsweg ist die Kompostierung, weil hier der Kreislauf am besten geschlossen wird. Kompotoi verarbeitet zunächst kleinere Chargen selbst und startet dann Pilotprojekte mit Kompostierungspartnern. Das Problem hier ist nämlich noch: Der Einsatz von Komposterde mit Trockentoiletteninhalten ist rechtlich nicht klar geregelt. Das Unternehmen ist deshalb auf Pilotprojekte und Sondergenehmigungen angewiesen.
Wir wollen mehr!
Die Idee des kleinen Vereins kommt an: Am Anfang mietet vor allem die Veranstaltungsbranche, 2016 kann die erste öffentliche Trockentoilette in der Deutschschweiz installiert werden und ab da geht es mit der neu gegründeten AG steil bergauf. Heute ist Kompotoi Marktführerin im Segment der mobilen Komposttoiletten, über 700 Kabinen waren letztes Jahr in der Schweiz im Einsatz. Um auch im Bereich der Regulierung weitere Pionierarbeit leisten zu können, gründet Kompotoi 2022 den Verband VaLoo mit, der sich für die Etablierung von nachhaltigen Sanitärsystemen einsetzt und die Pilotprojekte begleitet.
Denn das Potential ist groß. Die Humifizierung der Feststoffe bindet Kohlenstoff langfristig im Boden. Das ist eine Maßnahme gegen den Klimawandel und trägt zu Bodenaufbau und -fruchtbarkeit bei. Der Flüssigdünger kann regional erzeugt werden und ersetzt konventionelle Mineraldüngemittel. Würden sämtliche Hinterlassenschaften der Schweizer:innen verwertet, könnten Schätzungen zufolge etwa Dreiviertel des in der Schweiz benötigten Stickstoffs und nahezu 100% des benötigten Phosphors gewonnen werden.
Bis dahin ist allerdings noch einiges an Weg zu gehen. Aber sicherlich steht am Wegesrand ab und an ein Kompotoi.
Erst Pieseln, dann rieseln
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